Entdeckerreise 2007: Auf den Spuren Marco Polos

Bericht 25: Durch Europa -
Russland



02.09.07 bis

Nach Djurtuli (RUS)

07.09.07

Nach Nishni Nowgorod(RUS)


Nach Djurtjuli, 02.09.07 (RUS)

Der Ural. Das Grenzgebirge zwischen Europa und Asien. Wild ist es, schroffe Felsen ragen aus den Tannen, die Straße führt durch tiefe Schluchten, Bären und Wölfe sind hier zu Hause.

Das war meine Vorstellung. Weit gefehlt! Ich hätte meinen Reiseführer wohl vorher lesen sollen:

"Der Ural, der Hochgebirgs- und Mittelgebirgscharakter aufweist, ist ein bis 1.894 m hohes, knapp 2.100 km langes und durchschnittlich etwa 50 km breites Gebirge, das sich in Nord-Süd-Richtung durch den mittleren Westen Russlands erstreckt und einen Teil der asiatisch-europäischen Grenze darstellt."

Wir fuhren durch den Thüringer Wald. Wenn jetzt ein Bratwurststand mit Thüringer Rostbratwürsten aufgetaucht wäre, hätte mich das nicht gewundert. Nur, daß Alles ein wenig größer, weitläufiger war. Wir fuhren nicht höher als ca. 800 m. Dichter Nadelwald soweit das Auge reicht.

Ungefähr 70 Kilometer hinter Miass machten wir auf einem Parkplatz an einer Stele Halt, die die Grenze zwischen Asien und Europa symbolisiert. 23.200 Kilometer haben wir in Asien von der Brücke über den Bosporus bis hier in den Ural zurückgelegt. Nun sind wir zurück in Europa.

Wir warteten auf die Straßenverkäufer, die Pilze oder Beeren verkauften, doch die gab es hier nicht, nur Honig wurde hier viel angeboten. Und viele Märkte, die wir in Deutschland typische Russenmärkte nennen würden, auf denen Alles verkauft wird, von der Stecknadel bis zur Kalaschnikow, befanden sich am Wegesrand. Das mit der Kalaschnikow ist nicht übertrieben, bis vor ein paar Jahren waren dieses Märkte hier dafür berühmt, wirklich Alles zu bekommen. Heute bekommt man diese Waffen hier nur noch als Luftdruckwaffen, aber dafür Gummiboote und -matratzen und günstig CB-Funkgeräte, Alles was Trucker so brauchen von Kochern bis zu dicken Stiefeln, und jede Menge Superkitsch-Souveniers. Und - wieder ein Wunder - hier machten wir unsere Mittagspause!

Der Verkehr war mörderisch! Eigentlich habe ich so einen Verkehr auf der sibirischen Schlagader erwartet und da habe ich mich so an die leeren Straßen gewöhnt, daß ich von der Verkehrsdichte hier regelrecht erschlagen wurde. Hinzu kamen die schlechten Straßen, die auf beiden Fahrbahnen so tiefe Spurrillen aufwiesen, daß das Fahren zur Konzentrationsaufgabe wurde und das Überholen einem Schwimmen und Schlingern bei Windstärke 7 entsprach.

Dem Nadelwald auf der Ostseite des Urals folgte auf dem Westabhang dichter Birkenwald, der deshalb so auffiel, da der sibirische Birkenwald viel lichter ist.

Bis Ufa folgten wir der M5, nach der Stadtumfahrung der M7, da die M5 nach Südwesten weiterging, wir aber nach Westen wollten. Man sieht, wir sind in Europa und da gibt es nicht nur eine Straße, man hat die Auswahl!

Uns fiel auf, daß die Straßenschilder zweisprachig sind. Na ja zweisprachig, es gab einige Buchstaben, die wir bisher noch nicht gesehen hatten und wir üben doch nun schon so lange! Da gab es plötzlich ein großes griechisches Theta, ein kleines spiegelverkehrtes "e", ein zusätzliches großes K, das oben links einen kleinen Querstrich hat, usw. Unser Reiseleiter klärte uns auf, daß wir uns in der autonomen Republik Baschkirien befinden. Im Reiseführer lasen wir dann, daß baschkirisch die Landessprache sei und daß die neun zusätzliche kyrillische Buchstaben enthält.

Baschkortostan oder auch (seltener) Baschkirien ist eine Republik im äußersten Ostrand Europas westlich des Uralgebirges. Namensgebende Nation sind die Baschkiren, ein Turkvolk. Diese sind allerdings nur eine Minderheit in der eigenen Republik. Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus (2002) 36,32% Russen, 29,76% Baschkiren und 24,14% Tataren. Die Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam, daneben finden sich orthodoxe und evangelische Christen. Baschkortostan ist die flächengrößte und bevölkerungsreichste muslimische Teilrepublik. Die Hauptstadt Ufa ist seit 1980 der Sitz des Großmuftis Talgar Tadschuddin, der in muslimischen Angelegenheiten auch für Sibirien verantwortlich ist.

Nach 480 Kilometern machten wir Halt auf dem Parkplatz an einer Tankstelle bei Djurtjuli.

Nach Abstimmung wurde nicht morgen die Zeit um 2 Stunden zurückgestellt, sondern heute eine Stunde und morgen eine Stunde, so daß wir heute Deutschland nur noch 3 Stunden voraus sind.

Nach Kazan, 03.09.07 (RUS)

Der Morgen begann gut: kurz nach dem Start wurden wir von der Polizei aufgehalten: In Wagen 1 war der Sicherheitsgurt nicht angelegt. Nach Verhandlungen wurden 150 Rubel (4,50 Euro) bezahlt. Nach kurzer Zeit wurden wir wieder gestoppt, ein Überholverbot an einer Brücke weit zurück sollte immer noch gelten. Es ging ohne Kosten ab. Es dauerte nicht lange, da wurden wir an einer Polizeistation wieder gestoppt. War heute der Tag der Polizei? Doch es war nur Neugier, Fragen nach dem Woher, Wohin und Wagenbesichtigung. Wenn das so weiter geht, sind die 420 km heute nicht zu schaffen. Doch drei Mal ist Bremer Recht, es blieb dabei.

Wieder ein Wunder: Ohne Vorankündigung wurde eine Pause an einem Straßenmarkt angekündigt, der eine Besonderheit bot. Es gab Räucherfisch in vielen Sorten, dazu Piroggen. Eine schöne Abwechslung.

Wie heißt es im Vorspann bei Raumschiff Enterprise: Der Weltraum - unendliche Weiten! Das kann man gut hierher übersetzen: Rußland - unendliche Weite! Auch hier in Europa sind die Felder unendlich weit, wird der Blick durch nur kleine Baumgruppen aufgehalten. Wieder sind die Schilder zweisprachig. Doch wir sind nicht mehr in Baschkirien, sondern in Tartastan. Auch hier reichen die kyrillischen Buchstaben nicht aus, es gibt sechs weitere. Manchmal sind die Schilder sogar zusätzlich in lateinischen Buchstaben beschriftet.

Tatarstan ist eine autonome Republik im östlichen Teil des europäischen Russland. Tatarstan ist die bevölkerungsreichste der autonomen Republiken Russlands und gilt als besonders eigenständig. Heute beträgt die Einwohnerzahl Tatarstans 3.769.000. Bei der Volkszählung 2002 machten die Tataren 52,92% aus. 39,49% waren Russen.

Meldung von Wagen 6: der Beifahrerspiegel ist abgebrochen. Er muß nun ohne durch den Feierabendverkehr Kasans fahren.

Unser Stellplatz befindet sich am Hotel Safar an dem Fluß Kasanka. Wir stehen in sehr schöner Umgebung und stadtnah, in 30 Minuten ist man am Kreml. Es gibt sogar ein WiFi, für das man einen PIN_Code benötigt.

Die kumulierte Schadenstatistik sieht jetzt so aus:

lfd.
Nr.
was Ort Folgen / Maßnahmen Wagen
36 Beifahrerspiegel abgebrochen Kasan geschweißt
6


Kazan, 04.09.07 (RUS)

Die Stadt ist eine Perle der Architektur, sagt der Reiseführer. Das finde ich auch. Anläßlich des 1000-jährigen Bestehens 2005 wurden der Kreml und andere Gebäude renoviert. Die Fassaden in klassizistischem Stil, manche auch im Jugendstil, wurden erhalten und die Einkaufstraße Bauman erstrahlt in neuem Glanz und lädt zum Flanieren ein. Die Renovierung ist noch nicht abgeschlossen. Vielerorts sieht man noch vorsichtig entkernte Gebäude, denen "neues Leben einhaucht" wird.

Der Kreml gilt als einer der schönsten überhaupt und ist aus diesem Grund in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Hier befindet sich der ehemalige Gouverneur-Palast, der an Stelle des Khan-Palastes errichtet wurde.

Weiterhin ist hier eine prachtvolle orthodoxe Kathedrale: die Mariä-Verkündigungs-Kathedrale, die seit 1996 ein Museum ist und nur an Sonntagen und hohen Feiertagen ein Gottesdienst stattfindet. Diese Kathedrale ist das älteste Baudenkmal im Kreml.

Nahe der Mariä-Verkündigungs-Kathedrale befindet sich ein Turm aus rotem Ziegelstein: der Sujumbike-Turm. Der nach der letzten Kasaner Zarin Sujumbike benannte Turm entstand im 18. Jahrhundert. Hinter dem Turm befindet sich ein Mausoleum mit den Sarkophagen der tatarischen Khane.

Die Kul-Scharif-Moschee in Kasan ist die größte Moschee Russlands und wahrscheinlich auch Europas. Mit der benachbarten Mariä-Verkündigungs-Kathedrale gilt sie als Symbol für das friedliche Zusammenleben der muslimischen und orthodoxen Bevölkerung von Tatarstan. 2005 wurde die Moschee eingeweiht.

Die Kirche des Verklärungsklosters, die aus dem 16. Jahrhundert stammt, ist schon renoviert, das umliegende Kloster harrt noch im Dornröschenschlaf. Hier befindet sich die Kopie der Kopie der Ikone der schwarzen Madonna von Kasan. Die erste Kopie des verschollenen Originals befindet sich Vatikan.

Politisches und kulturelles Zentrum des Islams in Russland war und ist Kasan. Kasan gilt als die heimliche "islamische Hauptstadt" neben der "europäischen" Hauptstadt Moskau.

Die Stadt beherbergt etliche Hochschulen und 60.000 Studenten, die das Leben hier quirliger machen. So ist es nicht verwunderlich, daß es hier MacDonalds und andere Fastfoodketten, dazu Biergärten gibt.

Ich bin immer noch auf der Suche nach einer Balalaika, marschierte quer durch die Stadt zum Kaufhaus ZUM, das eine Musikalienabteilung haben sollte. Leider gab es dort nur einseitige Instrumente. Ob in Russland doppelseitige überhaupt üblich sind, muß ich erst mal herausfinden.

Kazan, 05.09.07 (RUS)

Den heutigen freien Tag nutzte ich zum Schreiben und zum Reparieren meiner Wasserversorgung, das Wasser tröpfelte nur noch aus dem Hahn. Der Filter der Wasserpumpe war ok, aber der Seagull-Vorfilter war vollkommen dicht. Nun habe ich wieder vollen Strahl!

In der Nacht hatte es geregnet und auch heute Vormittag wurde der Himmel immer wieder schwarz. Heute Nachmittag war gemeinsames Grillen angesagt. Ob es trocken bleibt?

Es blieb trocken, es wurde sogar noch sehr schön und so konnten wir in aller Ruhe die verschiedenen Salatkreationen würdigen.

Nach Nischni Nowgorod, 06.09.07 (RUS)

Wieder ein reiner Fahrtag, mehr als 400 km waren wieder zu bewältigen, was also einen langen Tag bedeutete, denn ein Stundenmittel von >50 km ist im Konvoi, und auf russischen Straßen schon gar nicht, zu erreichen. Die sanft hügelige Landschaft, geprägt von Kornfeldern, die zumeist schon abgeerntet sind, begleitete uns weiter. An vielen Stellen wird das Stroh noch verbrannt, wohl weniger aus veralteten Ansichten heraus, daß die Asche düngt, als aus der Hilflosigkeit heraus, was man mit dem vielen Stroh anfangen soll.

Am Abend die übliche Tankprozedur, von der man meinen sollte, daß sie schon zur Routine gehört: Unter Liter- und Säulenangabe bezahlen, wenn man mit Tanken dran ist, denn gleich nach dem Bezahlen werden die Liter an der Säule freigegeben. Hat man sich vorgedrängelt und steht ein anderes Fahrzeug an der Säule, bekommt das die Liter. Oder unterbricht man das Tanken, ist auch alles vorbei. Es will natürlich keiner gewesen sein, schon nach dem dritten Fahrzeug war alles durcheinander und die Säulen gesperrt. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis die Kassiererin nach mehrmaligem Kassensturz und Computerkontrolle den Tränen nahe die Säulen wieder freigeben hatte und das Tanken weitergehen konnte.

Dreißig Kilometer hinter Nischni Nowgorod bezogen wir unseren Stellplatz auf einem Autohof im Wald. Es mußte schon ein besonders guter Platz sein, wenn wir dafür so weit fuhren!
Er gehört zu den schlechtesten Plätzen, die wir bisher genießen durften und das will etwas heißen! So viel Dreck und Müll auf einem Haufen, dazu die Enge… Wenigstens schliefen wir gut.

Nischni Nowgorod, 07.09.07 (RUS)

Nischni Nowgorod ist mit 1,3 Mio. Einwohnern die viertgrößte Stadt Russlands. Die Stadt liegt an der Einmündung der Oka in die Wolga. 1932, nachdem Maxim Gorki offiziell als proletarischer Schriftsteller anerkannt worden war, wurde die Stadt in Gorki umbenannt. 1990 erhielt sie ihren alten Namen zurück.

In der Altstadt läßt sich eine Vielzahl von Bauwerken aller Stilepochen vom 17. Jahrhundert bis in die Neuzeit finden. Jugendstil, altrussischer Stil, Konstruktivismus und der Sozialistische Realismus haben den Bauten ihr unverwechselbares Gesicht verliehen. Besonders in der Fußgängerzone wird das deutlich. Vieles ist hier schon renoviert, doch überall wird noch gearbeitet, um die Stadt zur Jahrfeier auf Hochglanz zu bringen. Da sie 1221 gegründet wurde, wird also in diesem Jahr 786 Jahre Nischni gefeiert. Was diese Zahl den Russen bedeutet weiß ich nicht.

Mehrere Gotteshäuser wie z. B. die Stroganow-Kirche und die "Kirche der Smolensker und Wladimirer Mutter Gottes" im Stroganow-Barock aus dem 17. Jahrhundert, die Auferstehungs-Kirche, die prächtig restaurierte Kirche Johannes des Täufers vom Ende des 17. Jahrhunderts, die einzigartige Uspenski-Kirche von 1672 bilden bunte Tupfer im Stadtbild.

Dazu kommen viele Universitäten, an denen 100.000 Studenten studieren. Viele Industrien sind hier angesiedelt, ich will nur das Autowerk Wolga erwähnen.

Nischni Nowgorod ist eine sehens- und erlebenswerte Stadt, noch viel länger als einen halben Tag könnten wir uns hier aufhalten!

Der Bus brachte uns wieder zurück in unser Exklusivdomizil. Trotz der Wärme war ein Öffnen der Fenster nur möglich, wenn gleichzeitig Staubschichten im Wohnmobil toleriert wurden, die über den Platz trieben.

Am Abend lud Perestroika in die Kantine des Autohofs zum Abendessen. Wenn das Essen so ist wie der Platz… Doch unsere Vorkoster gestern Abend hatten gute Arbeit geleistet, das Essen war gut, besonders eine Salzgurkensuppe hatte es uns angetan.

Inzwischen hatte ein Sturzbach die Staubwolken auf dem Platz vertrieben, dafür konnten wir nun "Pfützenhüpfen".



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